Malteser versorgen in Ballenstedt mehr als 1000 Personen in fünf Tagen

Ein Mann und drei junge Leute stehen an einer mobilen Feldküche.
Ein Rettungswagen auf dem "Einsatzleitung" steht.
Ein junge Mann greift zum Telefonhörer.
Mehrere Männer sitzen an Computern.
Blick in ein Behandlungszelt.
Zwei Männer sortieren Medikamente.
Ein Mann hilft einem anderen Mann.
Viele Menschen auf einem Festival.
Blick auf den Eingang zum Rockharz Open Air.
Einsatzkräfte vor einem Flugzeug.

Einmal im Jahr wird Ballenstedt im Harz von einer Kleinstadt zum kleinen Mittelzentrum. Sprunghaft steigt die Anzahl der Einwohner. Aus knapp 9000 Frauen, Männern und Kindern werden mehr als 30.000. Es ist Rockharz Open Air. "Den besten Blick auf die Zeltstadt und das Leben vor der Bühne gibt es von den Gegensteinen", sagt Andre Podschun, Referent Einsatzdienste, und zeigt auf eine Felsformation, die zur bekannten Teufelsmauer gehören. "Sie gehören aber nicht zu unserem Einsatzgebiet, auch wenn wir hin und wieder aushelfen." 

Die Camping-Stadt vor den Gegensteinen hingegen, die sich in kürzester Zeit ausgebreitet hat, bedeutet für die Einsatzkräfte der Malteser sechs Tage Dauereinsatz. Mit drei seiner Nachwuchskräfte der Malteser Katastrophenschutzjugend steht Podschun auf einer leichten Anhöhe kurz hinter dem Ortsschild von Badeborn - und blick nach "unten". In dem kleinen Ortsteil haben die Malteser Einsatzkräfte Quartier bezogen, im Dorfgemeinschaftshaus und der zugehörigen Turnhalle. Hier können sich die Kräfte von ihren 12-Stunden-Schichten erholen. Hier wird geschnibbelt und gekocht, reichlich Kaffee ausgeschenkt. Damit alle fit und wach sind. 

Der Blick von der Anhöhe aus zeigt weiße und schwarze Zeltplanen, Pkws und Kleintransporter. Dass dort eigentlich der Verkehrsflugplatz "Magdeburg City" liegt, ist nicht mehr zu erkennen. Dafür ist nebenan, an der Landstraße, ein neuer Parkplatz entstanden. "Ein Landwirt hat dafür kurzerhand eine Wiese herunter gemäht und das Gelände zur Verfügung gestellt, weil kein Platz mehr war." Mehr als 24.000 Besucher hat das 30-jährige Bestehen des Metal-Festivals angelockt. Das Gelände hat einen eigenen Supermarkt unter Zeltdach, eine eigene Feuerwehr, Polizei ist vor Ort stationiert und es gibt sogar eine Station für Menschen mit Pflegebedarf - die Organisatoren des Rockharz Open Air setzen auf Inklusion.

In der Pilotenvorbereitung regieren Malteser

Auch wenn die Musik laut ist, herrscht in der mobilen Einsatzleitung konzentrierte Stille. Zwei Mann sitzen drinnen und überwachen eingehende Funkmeldungen. "Es gibt eine eigene Notrufnummer, die hier direkt im Fahrzeug aufläuft und von der aus die Einsatzkräfte koordiniert werden", erklärt Podschun. Los ist einiges, auch wenn das Rockharz Open Air erst am Abend - zumindest hinsichtlich der Liveacts - richtig in Fahrt kommen wird. 

Die Zwischenbilanz bis Donnerstagmittag: mehr als 220 Behandlung sind liegen bereits hinter den Einsatzkräften. Und immer wieder fahren die Krankenwagen weg vom Festivalgelände. "Wir hatten in diesem Jahr schon einige Transporte ins Krankenhaus", sagt Podschun. Und das, obwohl den Besuchern des Rockharz Open Air noch zweieinhalb Eventtage und die meisten Band-Auftritte bevorstehen. Was bislang am häufigsten behandelt werden muss? "Leute, die umgeknickt sind", heißt es mit Blick auf die Statistik aus der Einsatzleitung. 

Nebenan, dort, wo sich Piloten normalerweise auf ihre Flüge vorbereiten, "regieren" jetzt vier Malteser. Kabel und Rechner liegen und stehen in dem Raum. Daten füllen Monitore. Ein Pilot fände hier kaum Platz. Und hätte ohnehin nichts zu tun: Für den Flugverkehr ist der Platz während des Festivals gesperrt. "Nur Rettungshubschrauber dürfen landen um zu tanken", erklärt Podschun. Selbst ein Löschflugzeug, das normalerweise in Ballenstedt stationiert ist, musste für die Zeit des Metal-Festivals "umziehen". 

Malteser leisen mehr als Verletztenversorgung

Jetzt beherrschen den Raum am Rand des Festivalgeländes Kräfte aus Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Unter ihnen ist Holger Brill von der Ortsgruppe Weimarer Land - als Einsatzleiter für die Hauptschicht. Gemeinsam kümmern sich er und seine Kollegen um Lagedarstellung, Dienst- und Personalplanung der gemeldeten rund 120 Malteser-Kräfte, leiten nötige Beschaffungen an. Und organisieren auch mal Essensmarken. Sachliche Ruhe herrscht vor. Seine persönliche Ladung Einsatz-Adrenalin wird Holger Brill am Sonnabend abbekommen, wenn er zur Abwechslung in der Unfallhilfsstelle im Einsatz sein wird. 

Derweil ist im Koordinationsraum kaum zu ahnen, wie es auf dem Gelände zugeht. Das wird erst draußen deutlich, wo Zelte und Autos, Wohnanhänger und Vordächer dicht an dicht stehen. Dazwischen sind Menschen unterwegs - zumeist in dunkler Kleidung, manchmal aber auch mit schrillem Kostüm. Die Atmosphäre: völlig entspannt. Gäste und Einsatzkräfte grüßen sich gemütlichen mit Handzeichen. Zwischendurch der Ruf: "Geht mal zur Seite. Da kommt ein Rettungswagen." Diese Umsichtigkeit sei längst nicht bei jeder Großveranstaltung anzutreffen: "Bei anderen Absicherungen werden wir schon als störend eingestuft. Aber hier sind die Leute dankbar, dass wir da sind und helfen", resümiert Podschun. Das liege wohl auch daran, dass die Atmosphäre beim Rockharz Open Air beinahe familiär, das Festival langsam gewachsen sei. 

Da geht die Hilfe dann auch mal über Verletzenversorgung hinaus: "Am Mittwochabend war einer da, der nach dem langen Festivaltag nicht mehr wusste, wo seine Ferienwohnung war. Das konnten wir rausbekommen und haben dann auch gleich dafür gesorgt, dass er auf dem Weg dorthin nicht verloren geht", erzählt Andre Podschun auf dem Weg hinein in den Festivaltrubel.

Mittendrin im Festivaltrubel steht unter wolkig-blauem Himmel eine kleine Sanitätsstadt: die Unfallhilfsstelle (UHS). Fahrzeug reiht sich an Fahrzeug, Aufenthaltscontainer und Hilfsmittel. In einer Ecke steht ein Stromaggregat, direkt daneben der neue Tankanhänger. Seit wenigen Wochen in der Diözese Magdeburg stationiert, ist es der erste Einsatz für den Anhänger. Daneben stehen mobile Feldtragen. "Die sind organisiert worden, wo es möglich war. So können unsere sechs Fußtruppen bei Bedarf Menschen leichter im unebenen Gelände transportieren", erklärt Andre Podschun. 

Dann geht es ins Herz der UHS. Neben der Infektionsschutzstation stehen zwei Zelte, getrennt durch einen kleinen Aufnahmebereich: ein Zelt für Intensivbehandlungen, eines für leichte Verletzungen. Auf Tischen und Zeltwänden liegen und hängen Verbandsmaterialien. Zwei Kollegen sichten den Medikamentenbestand. Im Hintergrund brummt eine Belüftungsanlage, die vom Lärm draußen locker übertönt wird. Drinnen wird gerade ein verstauchter Knöchel gekühlt. Gegenüber füllt ein Patient einen Fragebogen aus.

Kritische Rockharz-Momente mit glimpflichem Ende

Es ist ruhig in der UHS. Das wird sich ab 16 Uhr ändern. Dann beginnt - erfahrungsgemäß - der Hauptstrom. Dann ist nicht nur ein Arzt im Einsatz, es werden drei sein. "Unsere Ärzte sind Rockharz-erfahren, mit ihnen arbeiten wir schon länger zusammen." Und diese Festival-Erfahrung wird nötig sein: Hunderte weitere Verletzungen werden in den nächsten Stunden und Tagen dazu kommen. Die Statistik wird am Ende 1030 behandelte Personen ausweisen. In den meisten Fällen mit chirurgischen Verletzungen, umgeknickt oder gestürzt. Dazu kommen Ausnahmen: ein Verdacht auf Schlaganfall, ein Verdacht auf Herzinfarkt, schwere Übelkeit. 

Es gibt aber auch kritische Momente: Etwa, wenn die Fallmeldungen schlagartig zunehmen. Und Einsatzkräfte, die gerade zwei Minuten zurück im Basislager sind, auf die Mannschaftswagen springen müssen, um wieder zurück ins Geschehen auszurücken. "Da waren dann 70 Leute gleichzeitig im Dienst. Zum Glück hat sich die Lage schnell beruhigt." 

Angespannt ist die Lage dagegen, als plötzlich ein Kind vermisst wird. Klar, dass auch die Malteser die energische Suche unterstützen. Am Ende Erleichterung für alle: Der Sicherheitsdienst hat das Kind im In-Field gefunden.

So schnell wie Anspannung aufkommt, flaut sie wieder ab. Manchmal kommt gar Langeweile auf. Das Rezept dagegen: Mario Kart. Und ein Quiz, das sich die "Frischlinge" unter den Einsatzdiensten ausgedacht haben. Die Magdeburger Katastrophenschutz-Jugend der Malteser, vor knapp einem Jahr gegründet, hat sich ein Black-Stories-Quiz ausgedacht. Dafür können die Einsatzkräfte selbst Geschichten einreichen. "Die Kollegen aus Celle waren dabei ziemlich engagiert", schmunzelt Andre Podschun. "Sie haben dann auch den Preis gewonnen: einen Präsentkorb mit regionalen Spezialitäten aus Sachsen-Anhalt." 

Nach dem Rockharz ist vor dem Rockharz

Letztlich zahlen sich umsichtige Konzeption und langjährige Erfahrung aus. Nur das Hitzewochenende grätscht dazwischen: Alle kämpfen - Einsatzkräfte wie Festivalbesucher. Die ursprünglich beschafften 330 Liter Wasser und 200 Liter Säfte und Limonaden reichen nicht. Es muss nachgeordert werden. Auch bei Infusionen. Der Schlüssel zur Lösung: ein eigener Malteser-Logistiker, der allein während des Festivals gute 1500 Kilometer zurückgelegt haben wird.

Am Montag nach der Festival-Woche sind alle "platt". Aber noch ist der Einsatz nicht gänzlich abgeschlossen. Einsatzräume müssen übergeben, Fahrzeuge gereinigt, verbliebene Materialien gesichtet werden. Die unterstützenden Kräfte aus Magdeburg, Ballenstedt, Oschersleben und Köthen, Dortmund, Husum, Celle, Hannover, Braunschweig, Meckenheim, Sandkrug, Göttingen, Bremen, Limburg und Leipzig sind mehrheitlich abgereist. Zurück bleibt die Rumpfmannschaft, die "klar Schiff" macht. Und die dann auch irgendwann endlich durchatmen darf. Bis zum Herbst. Denn nach dem Rockharz Open Air ist vor dem Rockharz Open Air.

 

Auf unserem Facebook-Kanal gibt es Bilder vom Rockharz Open Air 2023. Ein Video ist auf Instagram verfügbar.